„Social Media prägen den Wahlkampf, aber nicht den Wahlausgang“
10.02.2025
Interview mit Kommunikationswissenschaftlerin Anna Sophie Kümpel über die Rolle sozialer Medien bei Wahlen
10.02.2025
Interview mit Kommunikationswissenschaftlerin Anna Sophie Kümpel über die Rolle sozialer Medien bei Wahlen
Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen | © Lea Rudrof
Anna Sophie Kümpel ist Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU. Im Interview erklärt die LMU-Professorin die Rolle sozialer Medien bei Wahlen und die Bedeutung hoher Followerzahlen.
Parteien werben auf Plakaten, an Wahlkampfständen, in Printmedien und sozialen Netzwerken. Welche Rolle spielen die sozialen Medien heute für die Politik?
Anna Sophie Kümpel: Alle genannten Elemente spielen eine Rolle, jedoch hat die Bedeutung von Online-Informationskanälen und nicht zuletzt Social-Media-Plattformen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Traditionelle Wahlkampfmittel wie Plakate und Infostände dienen weiterhin der lokalen Präsenz von Politikerinnen und Politikern sowie Parteien und der Mobilisierung von Wählerinnen und Wählern. Aber auch die Medienpräsenz in klassischen Formaten wie Talkshows oder TV-Debatten ist nach wie vor wichtig, um die Bevölkerung zu erreichen.
Social-Media-Plattformen ermöglichen es den Parteien, Wahlberechtigte direkt und interaktiv anzusprechen. Dabei kommt es auf ein gutes Gefühl für die Logiken der jeweiligen Plattformen und eine daran angepasste Kommunikation an.
Kann ein einzelner Post die Wahlentscheidung beeinflussen oder ist die Wirkung eher schleichend?
Die politische Meinungsbildung ist in der Regel ein längerfristiger Prozess, der von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, etwa der eigenen Herkunft, persönlichen Erfahrungen oder dem sozialen Umfeld. Auch Medien spielen hier eine Rolle – allerdings eher kumulativ und über längere Zeit hinweg. Ein einzelner erfolgreicher Post kann zwar kurzfristig Aufmerksamkeit erregen und Diskussionen anstoßen, dürfte jedoch nur in Ausnahmefällen zu einer nachhaltigen Veränderung der eigenen Meinung oder gar der Wahlentscheidung führen.
35 Prozent der 18- bis 24-jährigen Onliner bezeichnen soziale Medien wie Facebook oder Instagram als ihre Hauptnachrichtenquelle.Anna Sophie Kümpel , Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen
Wird die Bedeutung sozialer Medien für Wahlen also überschätzt?
Soziale Medien haben insbesondere bei jüngeren Wahlberechtigten einen wachsenden Einfluss auf die Informationsnutzung und mithin auch die Meinungsbildung. Aktuelle Befragungsdaten aus dem Reuters Institute Digital News Report zeigen, dass 35 Prozent der 18- bis 24-jährigen Onliner soziale Medien wie Facebook oder Instagram als ihre Hauptnachrichtenquelle bezeichnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass dadurch Wahlen entschieden werden. Die Nutzung von sozialen Medien ist insgesamt nur ein Faktor unter vielen. Was man sagen kann: Social-Media-Plattformen prägen die Art des Wahlkampfs, aber nicht den Wahlausgang.
Wie unterscheiden sich die politische Ansprache und die Themen in den verschiedenen sozialen Netzwerken?
TikTok wird aktuell überwiegend von jüngeren Menschen verwendet, während Facebook immer mehr zum „Netzwerk der Alten“ wird. Auf TikTok sind kurze, visuell ansprechende Inhalte gefragt, die oft humorvoll oder emotional sind. Politische Botschaften müssen hier schnell auf den Punkt kommen und kreativ verpackt sein – sonst wird weitergescrollt. Facebook hingegen eignet sich durch die Möglichkeit zu Verlinkungen und eine andere Darstellungslogik prinzipiell auch für detailliertere Informationen. Klar ist: Die Wahl der Plattform hat einen großen Einfluss darauf, wie und welche politischen Inhalte präsentiert werden können.
Die AfD hat frühzeitig die Potenziale von TikTok erkannt und nutzt die Plattform insbesondere zur Ansprache junger Wahlberechtigter.Anna Sophie Kümpel , Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen
Das politische TikTok hat lange die AfD dominiert. Jetzt versuchen andere Parteien aufzuholen. Kann das mit Clips wie jenem über die Aktentasche von Bundeskanzler Olaf Scholz funktionieren?
Die AfD hat frühzeitig die Potenziale von TikTok erkannt und nutzt die Plattform insbesondere zur Ansprache junger Wahlberechtigter. Der Erfolg erklärt sich einerseits mit einer ausgeklügelten Digitalstrategie, andererseits wird er auch durch die Plattform selbst verstärkt. Denn wir wissen aus der Forschung, dass die Algorithmen sozialer Medien besonders „anfällig“ für einfache, emotionale und oft auch radikale Positionen sind. Auch andere Parteien bemühen sich mittlerweile, TikTok stärker zu erschließen. Funktionieren kann das dann, wenn es authentisch wirkt und zum Profil der Partei passt.
Viel wichtiger als die Darstellungsformen sind häufig ohnehin die angesprochenen Themen.Anna Sophie Kümpel , Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen
Müssen politische Inhalte in sozialen Netzwerken wirklich in Rap-Form präsentiert werden? Jugendliche sollten sich doch auch ohne solche Stilmittel für ihre Zukunft interessieren.
Eine zielgruppenspezifische Ansprache ist immer wichtig – egal ob man sich an junge oder alte Wahlberechtigte richtet. Spezifisch für soziale Medien kann sich hier auch das Experimentieren mit neuen Formaten und Aufbereitungsformen lohnen. Wichtig ist aber immer die Authentizität. Wenn Parteien oder Politikerinnen und Politiker zwanghaft versuchen, sich an Jugend- oder Plattformkulturen anzupassen, kann dies unglaubwürdig und peinlich wirken. Viel wichtiger als die Darstellungsformen sind häufig ohnehin die angesprochenen Themen.
Haben sachliche und unaufgeregte Beiträge überhaupt eine Chance, viral zu gehen?
Zugespitzte und provokante Posts erzielen in der Tat oft höhere Reichweiten, da sie mehr Interaktionen hervorrufen. Dennoch können auch sachliche und informative Beiträge erfolgreich sein, wenn sie relevante Themen ansprechen und den Nutzenden einen Mehrwert bieten. Es ist aber fraglos eine große Herausforderung, politische Inhalte zu erstellen, die einerseits von den Algorithmen „gemocht“ werden, andererseits aber auch nicht unverhältnismäßig verkürzt oder emotionalisiert sind.
Eine hohe Anzahl von Followerinnen und Followern in sozialen Medien lässt sich nicht in Wählerstimmen umrechnen.Anna Sophie Kümpel , Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen
Bedeuten hohe Followerzahlen automatisch viele Stimmen bei der Wahl?
Eine hohe Anzahl von Followerinnen und Followern in sozialen Medien lässt sich nicht in Wählerstimmen umrechnen. Sie sind zwar ein Faktor für die Sichtbarkeit von Inhalten auf den Plattformen selbst, haben aber wenig realweltliche Implikationen. Das lässt sich schon allein damit erklären, dass ein ‚Follow‘ nicht damit gleichzusetzen ist, dass mit einer Partei sympathisiert wird oder sie gar gewählt würde.
Stichwort Filter Bubble: Verstärken soziale Netzwerke nur bestehende Meinungen oder bieten sie auch neue Perspektiven?
Der aktuelle Forschungsstand spricht dafür, dass die Angst vor Filterblasen nur bedingt haltbar ist – auch auf sozialen Medien kann man immer wieder gegensätzlichen Meinungen begegnen. Nichtsdestotrotz haben Plattform-Algorithmen einen erheblichen Einfluss auf den Informationsfluss und können ihre Meinungsmacht vor allem dann entfalten, wenn Nutzende sich ausschließlich über soziale Medien informieren oder sich bewusst in politisch stark homogenen Online-Netzwerken bewegen. Entscheidend ist also vor allem die Art der Nutzung und wie bewusst man sich mit anderen Meinungen und Positionen auseinandersetzen kann und will.
Ich denke nicht, dass wir mit einer kompletten „TikTok-isierung“ der Politik rechnen müssen.Anna Sophie Kümpel , Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft mit dem Schwerpunkt Medienrezeption und Medienwirkungen
Besteht die Gefahr, dass Abgeordnete künftig nur noch kurze, TikTok-taugliche Reden halten und Wahlkampfthemen übermäßig zuspitzen?
Es ist grundsätzlich nichts Neues, dass Politikerinnen und Politiker ihre öffentlichen Auftritte an Medienlogiken anpassen – Reden oder Ansprachen wurden schon immer mit dem Wissen verfasst, dass die darin enthaltenen Aussagen später von den Medien aufgegriffen und verbreitet werden. Ich denke allerdings nicht, dass wir mit einer kompletten „TikTok-isierung“ der Politik rechnen müssen. Sicherlich wird es für die Kommunikation immer wichtiger, dass die Politik in der Lage ist, komplexe Themen in einfacher und prägnanter Art darzustellen. Dies kann jedoch auch eine Chance sein – solange nicht gleichzeitig übermäßig emotionalisiert und polarisiert wird.